Lange hat Anna dafür gespart und freut sich jetzt sehr auf den nahenden Urlaub. Die erste richtige Urlaubsreise seit fünf Jahren. Am Tag der geplanten Abreise zeigt der Corona-Test zwei Striche an.

Mia und Paul sind seit vier Jahren ein Paar. Sie ziehen zusammen, es folgt die Verlobung. Die gemeinsame Zukunft mit Reihenhaus und Kindern ist durchgeplant. Mia fällt aus allen Wolken, als Paul sich urplötzlich von ihr trennt, weil er sich fremdverliebt hat.

Zukunft ist nicht gleich Zukunft – Futurum und Adventus

Dass Pläne im Leben scheitern, ist keine Ausnahme. Denn Zukunft ist eben nicht nur das, was wir vorhaben und planen, sondern auch immer das, was ohne unseren Einfluss geschieht.

Im Lateinischen finden sich dafür zwei unterschiedliche Worte: Futurum und Adventus.

Futurum, die planbare Zukunft ↔ Adventus, die erlebbare Zukunft

Futurum bezeichnet die vorausschaubare Zukunft, die planbar ist, während Adventus die erlebbare Zukunft darstellt, die auf uns zukommt. Futurum ist sozusagen die Summe von Plänen, die wir angehen und abhaken möchten. Adventus hingegen ist etwas Lebendiges, das wir nur erleben, jedoch nicht planen können. Futurum erlaubt uns Kontrolle, während wir Adventus teilweise als regelrechten Kontrollverlust erleben.

Sei nie planlos, aber lass den Plan los.

Pläne für die Zukunft zu machen ist nicht verkehrt, solange wir gleichzeitig die Ungewissheit der Zukunft akzeptieren können. Manchmal müssen Pläne angepasst oder sogar aufgegeben werden. Verbissen an (gescheiterten) Plänen festzuhalten, bringt auf jeden Fall herzlich wenig – außer vielleicht Unzufriedenheit. Denn wie viele Pläne wir auch schmieden, wir können den Lauf der Dinge eben immer nur begrenzt kontrollieren. Es wird stets auch unvorhergesehene Ereignisse geben, ob es uns nun gefällt oder nicht.

Wenn wir einer Situation, deren Veränderungsmöglichkeit gar nicht in unserem Einflussbereich liegt, mit innerem Widerstand begegnen – »Das müsste doch anders sein« – führt das garantiert zu Frust. Im Gegenzug macht es genauso unglücklich, sich stets nur als Opfer äußerer Umstände zu sehen – »Da kann ich eben nichts dran ändern« – und sich damit als wenig selbstwirksam zu erleben. Hier ist eine gute Balance gefragt.

Unser Umgang mit Zukunft anhand des Wertequadrats

Das Werte- und Entwicklungsquadrat nach Schulz von Thun stellt ein wunderbares Modell dar, um sich die Wichtigkeit von Balance vor Augen zu führen.

Die Idee hinter dem Wertequadrat

Das Wertequadrat geht davon aus, dass ein positiver Wert immer in Balance zu einem positiven Gegenwert stehen muss, um nicht in ungesunde Übertreibung abzudriften.

Werte- und Entwicklungsquadrat nach Schulz von Thun

Beispiel:

Mut braucht Vorsicht, um nicht in gefährlichen Leichtsinn auszuufern. Vorsicht wiederum benötigt Mut, um (Über-)Ängstlichkeit zu vermeiden.

Werte- und Entwicklungsquadrat nach Schulz von Thun – Beispiel Mut vs. Vorsicht

Das Wertequadrat im Zusammenhang mit Futurum und Adventus

Schauen wir uns einmal das Wertequadrat im Hinblick auf unseren Umgang mit den zwei Formen von Zukunft an. Für Futurum ist insbesondere die linke Seite der Eigenverantwortung relevant, für Adventus eher die rechte Seite der Akzeptanz.

Werte- und Entwicklungsquadrat nach Schulz von Thun – Beispiel Eigenverantwortung vs. Akzeptanz

Zu viel Eigenverantwortung resultiert in Schuldverstrickung.

Es braucht Eigenverantwortung, um Pläne zu schmieden und Zielen nachzugehen. Wenn wir jedoch dem trügerischen Gedanken erliegen, alles unter Kontrolle zu haben und unseren eigenen Handlungsspielraum überbewerten, kann dies leicht zu einer Schuldverstrickung führen, die eine ungesunde Form der Übernahme von Verantwortung darstellt.

Das bedeutet, in jeder negativ bewerteten Situation wird die Schuld ausschließlich bei sich selbst gesucht:
»Ich bin schuld an diesem Unfall / dieser Krankheit / diesem Zustand der Dinge.«

Zu viel Akzeptanz resultiert in Resignation und Machtlosigkeit.

Damit Eigenverantwortung nicht in Kontrollzwang und Schuldverstrickung resultiert, braucht es Akzeptanz – die Akzeptanz des Ungewissen und Unveränderlichen. Denn es unterliegt eben nicht alles unserer Kontrolle. Eine zu starke Akzeptanz der äußeren Umstände führt jedoch zu Resignation und einer Opferhaltung mit einhergehenden Gefühlen von Machtlosigkeit.

Das bedeutet, in jeder negativ bewerteten Situation wird die Schuld ausschließlich im Außen gesucht:
»Ich kann überhaupt nichts für diesen Unfall / diese Krankheit / diesen Zustand der Dinge.«

Beide Extreme sind extrem ungesund.

Es bedarf immer einer Balance zwischen Kontrolle und Kontrollabgabe. Doch zu erkennen, wo unser Kontrollbereich anfängt und wo er aufhört, ist oft gar nicht so einfach. Als Grundlage zur Selbstreflexion unseres Einflussbereichs gibt es ein tolles Modell von Stephen R. Covey namens »Circle of Influence«.

Doch bevor wir uns dieses Modell genauer anschauen, möchte ich als Verständnishilfe noch einen kleinen Exkurs zum Thema Komplexität einschieben.

Komplex vs. Kompliziert – Ein Exkurs

Kompliziertheit

Ein Beispiel für ein kompliziertes System ist eine mechanische Uhr. Sie besteht aus zig Einzelteilen mit verschiedenen Funktionen, die miteinander interagieren. Als Laie habe ich keine Ahnung, wie das alles vonstattengeht, doch ein Profi könnte mir erklären, was die Uhr zum Ticken bringt. Mit dem nötigen Wissen ist das Verhalten der Uhr also vorhersehbar, Ursache und Wirkung ableitbar.

Kurz gesagt:
Kompliziertheit lässt sich durch Wissen verringern.

Komplexität

Bei einem komplexen System sind Zusammenhänge von Ursache und Wirkung nicht vorhersehbar. Es gibt nicht das nötige Maß an Wissen, um eine sichere Aussage treffen zu können. Komplexität beinhaltet immer auch ein Potential an möglichen Überraschungen. Wie ein Mensch beispielsweise in einer bestimmten Situation reagiert, kann sich niemals zuverlässig vorhersagen lassen. Es gibt einfach zu viele Faktoren, die einen Einfluss auf menschliches Verhalten ausüben, wie tagesformabhängige Stimmung, Prägung und Sozialisation, Hormonhaushalt oder gesundheitliches Befinden.

Kurz gesagt:
Ein komplexes System kann Impulse von außen empfangen, lässt sich beobachten, aber niemals kontrollieren.

Leben in einer komplexen Welt

Wir leben in einer komplexen Welt, in der wir ständigen Veränderungen unterworfen sind. Technologien, Trends, gesellschaftliche Anschauungen, wirtschaftliche Märkte, alles unterliegt einem stetigen Wandel. Wir werden überrascht vom Wetter, von Naturkatastrophen, von Pandemien. Auch in Interaktion mit unseren Mitmenschen erleben wir ständig und immer wieder Komplexität. Unvorhergesehene Trennungen, vermeintlich überemotionale Reaktionen, Verlagerung von persönlichen Werten, veränderte Lebenssituationen, Dynamiken in sozialen Gruppen.

Leben in einer komplexen Welt bedeutet, stets damit rechnen zu müssen, dass unvorhergesehene Dinge passieren. Es geht also nicht darum, bessere Pläne zu schmieden oder mehr Wissen anzuhäufen, um die Welt um uns herum kontrollierbar zu machen. Vielmehr ist das Erlernen von Akzeptanz essentiell, um mit dem stetigen Wandel und unvorhergesehenen Ereignissen besser umgehen zu können.

Und hier kommt nun das Modell von Stephen R. Covey ins Spiel.

Den eigenen Einflussbereich erkennen – Circle of Influence

In seinem Buch »7 Habits of Highly Effective People« beschreibt Stephen R. Covey ein Modell, das dabei helfen kann, sich über den eigenen Einflussbereich klarer zu werden und passende Strategien für Problemstellungen zu entwickeln. Die von mir genutzte Darstellung beruht auf einer Adaption des ursprünglichen Modells durch Diana Larsen.

Circle of Influence nach Stephen R. Covey

Nach dem Modell des Circle of Influence lässt sich unser Einflussbereich im Leben in drei Elemente einteilen:

Circle of Control

Der innere Kreis ist der Circle of Control. Hier befindet sich all das, was wir direkt kontrollieren und beeinflussen können. Dies stellt unseren tatsächlichen Handlungsspielraum dar.

  • Was kann ich selbst aktiv tun?
  • Welche meiner Handlungen bringen mich weiter?

Circle of Influence

Der mittlere Kreis ist der Circle of Influence. Hier haben wir keine direkte Kontrolle mehr. Wir können lediglich Impulse setzen und auf das Beste hoffen. Dies kann beispielsweise durch Kommunikation passieren, aber auch durch Verhaltensweisen, die einen potentiellen Einfluss auf unser Umfeld haben könnten. Es gibt jedoch niemals eine Garantie dafür, dass unsere Impulse tatsächlich Wirkung zeigen.

  • Was kann ich wie an wen kommunizieren?
  • Welche Verhaltensweisen könnten potentiell zu einer Veränderung beitragen?

Circle of Concern

Der äußerste Kreis ist der Circle of Concern. Diesen kann man sich vorstellen als eine Art riesige Ursuppe. Hier haben wir keinerlei Einfluss mehr. Wir können lediglich unsere Haltung beeinflussen, wie wir mit den Dingen umgehen wollen, die in dieser Ursuppe schwimmen. Das bedeutet, in diesem Bereich müssen wir uns auf’s Coping fokussieren – zu deutsch: das Entwickeln von Bewältigungsstrategien.

  • Wie kann ich meine Haltung verändern?
  • Wie kann ich besser damit umgehen?

Fazit

Neben einer planbaren Zukunft gibt es stets auch die Zukunft mit Überraschungsmoment.

Zukunft besteht zum Einen aus der planbaren Zukunft (Futurum), zum Anderen aus der erlebbaren Zukunft (Adventus), die für unerwartete Überraschungen sorgen kann.

Leben in einer komplexen Welt bedeutet, stets damit rechnen zu müssen, dass unvorhergesehene Dinge passieren und Pläne scheitern. Um damit besser umgehen zu können, braucht es nicht bessere Pläne, sondern die Fähigkeit zur Akzeptanz.

Problemstellungen können mit dem Circle of Influence lösungsorientiert analysiert werden.

Mithilfe des Circle of Influence können wir an Problemstellungen lösungsorientierter herangehen, indem wir uns fragen:

  • Was kann ich aktiv tun, um die Situation zu verbessern?
  • Welche Impulse kann ich setzen, die möglicherweise hilfreich sein könnten?
  • Wie kann ich besser damit umgehen, wenn eine Veränderung der Lage nicht in meiner Kontrolle liegt?

Doch wie schon am Anfang des Artikels beschrieben und anhand des Wertequadrats aufgezeigt, ist das manchmal eine echte Gratwanderung. Sich verbissen in die Ursuppe des Circle of Concern zu stürzen – »Das müsste doch anders sein« – ist genauso wenig hilfreich wie den Circle of Control zu klein zu schneiden – »Da kann ich nichts dran ändern«.

Wir sind weder Schöpfer noch Opfer, sondern irgendwas dazwischen.

Wir sind eben weder ausschließlich Opfer der Umstände noch allmächtige Schöpfer unseres Lebens, die alles in der Hand haben. Nicht Opfer, nicht Schöpfer, sondern irgendwas dazwischen.

Ich wünsche dir, dass du es schaffst, deine Zeit und Energie in deinen eigenen Einflussbereich zu investieren, statt zu viel in der Ursuppe zu schwimmen.

»Das Leben ist seinem inneren Wesen nach ein ständiger Schiffbruch.
Aber schiffbrüchig sein heißt nicht ertrinken.«
José Ortega y Gasset (1883 - 1955)

Frau Lyoner


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