Das Gute und Schlechte zugleich an Sneak Previews ist ja, dass man als Kinobesucher:in vorher nicht weiß, welchen Film man zu sehen bekommt. Vor einigen Wochen hatte ich nun also das (un-)freiwillige Vergnügen, im Film Caveman zu landen.

Der Kinofilm »Caveman« – und seine Problematiken

Worum es im Film »Caveman« geht – Spoileralarm!

Claudia, gespielt von Laura Tonke, und Bobby, gespielt von Moritz Bleibtreu, haben keine allzu schönen Beziehungen hinter sich, als sie sich kennenlernen. Mit der Prämisse »Lass uns niemals wie Mann und Frau werden« starten die beiden in eine gleichberechtigte Paarbeziehung. Doch nach Hochzeit, Eigenheimkauf und mehreren Jahren Beziehung befinden sie sich plötzlich in einer Abwärtsspirale aus Geschlechterrollen-Klischees, die zu zahlreichen Konflikten führen. Klassisches Beispiel: Sie redet zu viel, er will einfach nur in Ruhe fernsehen.

Eines Tages hat Bobby eine Vision vom Caveman – eigentlich nur ein cooleres Wort für Höhlenmensch – und ihm wird klar, dass es seit Anbeginn der Menschheit zwei völlig verschiedene Gruppen von Menschen gegeben hat, die sich durch unterschiedliche Sprache und Kultur auszeichnen, und daher einfach nicht zusammenpassen. Die Rede ist vom altbekannten Bild von Jäger und Sammler – oder vielmehr: Jäger und Sammlerin.

Nach dieser Erscheinung geht der Geschlechter-Klischee-Spaß erst richtig los. Sie shoppt sich in Ekstase, er hält ihre Handtasche. Sie dekoriert hochmotiviert das Heim, er hat nicht mal auf dem Klo Ruhe. Der Grund liegt für Bobby klar auf der Hand: Er ist ein Jäger, seine Frau eine Sammlerin. Die beiden können also gar nicht anders.

Warum der Film »Caveman« für mich eine Katastrophe ist

Man muss dem Film ja zugutehalten, dass er neben den ausgelutschten Klischees in Mario Barth Manier hin und wieder auch Anzeichen von Hoffnung bietet, die Handlung würde noch eine überraschende Wendung nehmen.

Etwa als verglichen wird, wie unterschiedlich Claudia und Bobby in den Badezimmerspiegel blicken: Er sieht einfach nur sich, sie lauter Baustellen, die es zu bearbeiten gilt, weshalb sie im Gegensatz zu ihm das x-fache an Pflegeprodukten besitzt. Leider wird in einem Nebensatz lediglich die Kosmetikindustrie dafür verantwortlich gemacht.

Auch kann positiv bewertet werden, dass Bobby sich im Laufe des Films beginnt, mit der Geschichte der Frauenbewegung auseinanderzusetzen und dabei nicht nur das Wort Emanzipation fällt, sondern sogar der berühmte Satz von Simone de Beauvoir: »Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es.«

Großartig fand ich die Szene gegen Ende des Films, als Claudia ihren vom Caveman besessenen Gatten anbrüllt: »Ich bin keine Frau, ich bin Claudia Müller!«

Das wäre eine echte Steilvorlage gewesen, um schlussendlich doch noch aus dem ganzen Quatsch mit den Geschlechterrollen auszusteigen. Der Caveman hätte noch einmal in Erscheinung treten können, um zu erklären, dass die Aufteilung in Jäger und Sammler nicht geschlechterbasiert war, sondern nach Wesensmerkmalen erfolgte, und die Geschlechter in beiden Gruppen gleichermaßen vertreten waren. Dass es sinnlos ist, von »typisch männlich« und »typisch weiblich« zu sprechen, und wir lieber die individuellen Eigenheiten von Menschen anerkennen sollten, statt in Schubladen zu denken.

Doch trotz kleiner guter Ansätze schafft es der Film bis zum Schluss nicht, sich von seinem Grundgerüst der altbekannten Geschlechterklischees zu emanzipieren, stattdessen zementiert er das vermeintlich natürliche Verhalten vom ins Feuer starrenden Jäger und der dauer-labernden Sammlerin.

Und das im Jahr 2023. Danke für nichts.

Der Mythos vom Mann als Jäger und der Frau als Sammlerin

Das Bild vom jagenden Mann und der kinderbetreuenden Sammlerin ist fest in unseren Köpfen verankert. Filme wie »Caveman« – übrigens auch als Theaterstück seit Jahren ein Dauerbrenner – und Bestseller wie »Warum Männer nicht zuhören und Frauen schlecht einparken« tragen dazu bei, dieses Bild in der Gesellschaft weiterhin zu verfestigen.

Projektion des bekannten Geschlechtermodells auf die prähistorische Zeit

Dabei entspricht die Vorstellung vom Mann als Jäger und der Frau als Sammlerin längst nicht mehr dem Stand der aktuellen Forschung.

Zum einen gab und gibt es immer wieder Funde von weiblichen Steinzeitmenschen mit Jagdwaffen und männlichen Steinzeitmenschen mit weiblich konnotierten Grabbeigaben wie beispielsweise Schmuck.

Zum anderen wurden in der Vergangenheit archäologische Fundobjekte oftmals mit einem Geschlecht verknüpft, ohne dass eine wissenschaftliche Grundlage dafür existierte. Vielmehr galt die einfache Regel: Eine Waffe kennzeichnet einen prähistorischen Mann, Schmuck eine prähistorische Frau.

»Um historische Rekonstruktion bemüht, kann die Prähistorische Archäologie auf Basis ihrer Quellen streng genommen nur schemen- und lückenhafte Bilder zeichnen. Diesen stehen farbenprächtige und detailreiche Szenarien gegenüber, die nur deshalb keine Fragen offen lassen, weil es sich bei ihnen um die Projektion eines Geschlechter- und Familienmodells handelt, mit dem wir alle bestens vertraut sind.«
Brigitte Röder auf S.20 in »Der Jäger und die Sammlerin. Mit der Steinzeit die (Geschlechter-)Welt erklären?«

Weiterführende Informationen:

Brigitte Röder:
Der Jäger und die Sammlerin. Mit der Steinzeit die (Geschlechter-)Welt erklären?

Deutschlandfunk Kultur:
Forscher entzaubern die Steinzeit-Klischees

National Geographic:
Prähistorische Jägerinnen widerlegen alte Geschlechterrollen

Warum haben solche Erklärungen überhaupt einen so großen Einfluss auf uns?

Acht Stunden unter künstlichem Licht auf dem Drehstuhl sitzen und einen Monitor anstarren. Abends die Tiefkühlpizza mit extra viel Käse in den Backofen schieben und Netflix starten. Eine Porzellantoilette und Deo benutzen. Im Zug, Auto oder sogar Flugzeug reisen. Zahnmedizinische Untersuchungen und Boxspringbetten.

Alles grundsätzlich geile Sachen. Aber was bitte ist daran noch natürlich? Und warum sollten wir unseren Blick überhaupt auf die prähistorische Zeit richten, um uns auf vermeintlich natürliche Gesetzmäßigkeiten zu berufen? Auf ein Programm, das angeblich in uns eincodiert ist, dem wir uns nicht entziehen können, während wir andere Urzeit-Programme offenbar erfolgreich gelöscht oder adaptiert haben.

Oder wie es ein Lehrer während meiner Schulzeit einmal formulierte:
»Ich kacke jetzt doch auch nicht auf den Schulhof, nur weil das natürlich ist.«

Kausalität vs. Korrelation

Seit einigen Wochen legt meine Tochter ein amüsantes Verhalten an den Tag, wenn wir an einer roten Fußgängerampel warten müssen. Da das Betätigen des Schalters selten dafür sorgt, dass die Ampel direkt von rot auf grün umspringt, ist ihre neueste Strategie nun zusätzlich mit der Ampel zu sprechen: »Ampel, werd’ jetzt grün!« – Natürlich schaltet die Ampel dann irgendwann auf grün, worauf der Ausspruch folgt: »Die Ampel hat auf mich gehört.«

Hier liegt eine klassische Verwechslung von Kausalität und Korrelation vor. Bei der Korrelation passieren zwei oder mehr Dinge neben- bzw. hintereinander, die nichts miteinander zu tun haben. Kausalität ist eine Spezialform der Korrelation. Hier hängen die Dinge miteinander in direktem Zusammenhang, d.h. es gibt eine lineare Verbindung zwischen Ursache und Wirkung. Daher wird Kausalität auch als Ursache-Wirkung-Prinzip bezeichnet.

Das Beispiel mit der Ampel lässt uns als Erwachsene schmunzeln. Doch dass Korrelation als Kausalität betrachtet wird oder wir dazu neigen, Sympathien für einfache kausale Zusammenhänge zu empfinden, liegt daran, dass wir uns in einer komplexen Welt nach Komplexitätsreduktion sehnen.

Weiterführender Artikel zum Thema Komplexität:
Wenn Pläne scheitern – Vom Leben in einer komplexen Welt und was das für unseren Einflussbereich bedeutet

Wenn Kausalität der Legitimierung dient

»Ich kann nicht anders, weil mein Sternzeichen Schütze ist.« – Eine der ältesten Formen der Komplexitätsreduktion ist die Astrologie, die als Erklärungsversuch für menschliches Verhalten dient. Hier werden voneinander unabhängige Dinge, die Position von Himmelskörpern und menschliches Verhalten bzw. Charakterzüge, plötzlich miteinander gekoppelt.

»Gottes Wege sind unergründlich« – heißt es so schön, doch insgesamt gestehen Religionen dem Menschen ein wenig mehr Handlungsspielraum zu, wobei es stets eine moralische Instanz gibt, die über richtig und falsch entscheidet. Hier gibt es ein erwartetes menschliches Verhalten und ein abweichendes, das je nach Religion im kausalen Zusammenhang mit Konsequenzen im Diesseits (oder Jenseits) stehen kann.

Besonders gefährlich wird es jedoch, wenn die Wissenschaft herangezogen wird, um mit vermeintlich kausalen Zusammenhängen menschliches Verhalten zu erklären oder bestehende Strukturen zu legitimieren.

So durften Frauen zum Beispiel lange Zeit nicht studieren, weil ihre vermeintliche intellektuelle Unterlegenheit damit erklärt wurde, dass das weibliche Gehirn durchschnittlich ca. 140 Gramm weniger wiegt. Theodor von Bischoff, Professor für Anatomie, war einer von vielen Wissenschaftlern im 19. Jahrhundert, der vehement gegen Frauen an Universitäten eintrat, insbesondere im Bereich der Medizin. So berief er sich auf Messungen an Knochen und Kreislauf, die belegen sollten, dass Frauen für den ärztlichen Beruf schon rein körperlich nicht geeignet seien.

Der Sozialdarwinismus ist wohl eine der krassesten Formen der Legitimierung durch missbräuchliche Übertragung von biologischen Gesetzmäßigkeiten auf menschliche Gesellschaften. Aber das Fass will ich an dieser Stelle gar nicht erst aufmachen.

Objektivität ist ein Trugbild

Wir sehen die Dinge nicht, wie sie sind. Wir sehen sie, wie wir sind. – Anaïs Nin

Heute wissen wir es an vielen Stellen zum Glück besser, doch auch heute sind wir nicht gefeit vor verkürzten Theorien und Fehlschlüssen. Denn absolute Objektivität ist ein Trugbild und Wissenschaft niemals unabhängig vom Zeitgeist. Vielmehr stehen Wissenschaft und Gesellschaft immer in Wechselwirkung zueinander.

Was dies beispielsweise für die heutige Neurowissenschaft bedeutet, wird in folgendem Online-Artikel des Spektrum-Magazins deutlich:

»Männer und Frauen sind auch heute noch oft unterschiedlichen Lernumwelten ausgesetzt, beispielsweise bedingt durch die jeweilige Studien- und Berufswahl. Bei Erwachsenen lässt sich daher kaum bestimmen, woher ein entdeckter neuronaler Unterschied rührt – von den Genen oder von der Umwelt. Vielmehr prägt uns stets ein enges Wechselspiel aus beidem.
[…] statistisch signifikante Unterschiede zwischen Probandengruppen werden in wissenschaftlichen Fachjournalen mit größerer Wahrscheinlichkeit veröffentlicht als so genannte Nullbefunde – also Studien, in denen sich keine Effekte finden ließen. Dieser so genannte Publikationsbias ist ein seit Langem bekanntes Problem.«
Spektrum: Gibt es Geschlechterunterschiede im Gehirn?

Weiterführende Informationen:

DER STANDARD:
Zehn Geschlechter-Mythen im Faktencheck

BR:
Medizinstudium offen auch für Frauen

Spektrum:
Gibt es Geschlechterunterschiede im Gehirn?

Spektrum:
Ein Essay zum Biologismus

Fazit

Jede Wahrheit hat eine Halbwertszeit

Eine (vermeintliche) Wahrheit hat stets eine Halbwertszeit. Sie ist immer nur solange gültig, bis eine mit besseren Beweisen untermauerte Wahrheit die bestehende ablöst. (frei nach Karl Popper)

Kausalität ist nicht Korrelation

Kausalität darf nicht mit Korrelation verwechselt werden. Die Welt, die Gesellschaft und ihre einzelnen Individuen sind komplex, weshalb niemals eine sichere Aussage über direkte Kausalität, also eine Ableitung von Ursache und Wirkung, getroffen werden kann. Es gibt einfach zu viele Faktoren, die einen Einfluss ausüben, zu viel Potenzial für mögliche Überraschungen.

Angeblich kausale Zusammenhänge erscheinen allerdings zuweilen als real, wenn das Prinzip der selbsterfüllenden Prophezeiung zuschlägt, und wir (vermeintliche) Wahrheiten zu glauben beginnen.

Aus Erklärungen werden allzu leicht Legitimierungen

Wir sehnen uns nach Erklärungen, warum wir sind, wie wir sind. Denn solche Erklärungen erlauben uns Bequemlichkeit, nehmen uns Verantwortung ab und zementieren meist den Status Quo. Mit ihnen können nicht nur individuelle Verhaltensweisen legitimiert werden, sondern sogar gesellschaftliche (Macht-)Strukturen.

Wachstum und Veränderung zwecklos, Übernahme von Verantwortung überflüssig. Eine üble Mischung aus »Das haben wir schon immer so gemacht« und »Ich kann halt nicht anders«.

Unsere besondere Stärke ist die Neuroplastizität unseres Gehirns

Sicher, es gibt zig Faktoren, die unser Handeln und Denken beeinflussen – Gene, Hormonhaushalt, Gesundheit, Prägung und Sozialisation – das will ich gar nicht leugnen. Doch was uns Menschen so besonders macht, ist die Neuroplastizität unseres Gehirns.

»Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr.« – Das gilt eben nicht für uns Menschen. Denn wir sind zeitlebens lernfähig. Bis zu unserem Tod können sich Synapsen neu verknüpfen, wir können neue Wege einschlagen, neue Lösungen finden, Obsoletes hinter uns lassen, uns weiterentwickeln.

Wir müssen weder auf den Schulhof kacken, noch unsere verkorksten Beziehungen mit Biologie erklären. Denn wir sind weitaus mehr als nur die Summe unserer Gene und Triebe.

»[…] es gibt zwei Dinge, die den Menschen fundamental vom Tier unterscheiden: seine Selbstreflexivität und seine Intentionalität. Einerseits wissen wir, dass wir existieren und dass wir alles, was wir tun, zumindest im Prinzip auch immer anders tun könnten. Andererseits ist menschliches Handeln nicht einfach irgendwie determiniert, sondern gewollt und intendiert. Es hat keine Ursachen, sondern Gründe! Der Mensch kann sich aufgrund seiner potenziellen Selbstreflexivität und Intentionalität im Prinzip auch gegen seine eigene Natur verhalten, wenn er möchte.«
Prof. Dr. Lutz H. Eckensberger in Spektrum: Gene und Verhalten - Was bewegt den Menschen?

Frau Lyoner


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